(prejus) Ein unbegleiteter Minderjähriger hat einen Anspruch darauf, dass über seinen Asylantrag in dem Staat entschieden wird, der nach den Dublin-Bestimmungen für ihn zuständig ist.
Insoweit sind die Bestimmungen der Dublin-Verordnungen individualschützend. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig am 16.11.2015 entschieden.
Der Entscheidung lag der Fall eines irakischen Staatsangehörigen zugrunde, der Anfang 2010 als Minderjähriger in Deutschland einen Asylantrag stellte. Zuvor hatte er in Belgien
ohne Erfolg um Asyl nachgesucht. Nachdem die belgischen Behörden einer Wiederaufnahme des Klägers im Rahmen des Dublin-Verfahrens zugestimmt hatten, lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) den Asylantrag im April 2011 wegen anderweitiger internationaler Zuständigkeit als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung des Klägers nach Belgien an. Seine Klage hatte in den Vorinstanzen Erfolg.
Das Oberverwaltungsgericht begründete die Aufhebung des angefochtenen Bescheids damit, dass Deutschland nach den Dublin-Bestimmungen die Prüfung des Asylantrags obliege, weil der Kläger bei Antragstellung minderjährig gewesen sei. Der 1. Revisionssenat des Bundesverwaltungsgerichts hat diese Entscheidung bestätigt und die Revision der Beklagten zurückgewiesen. Nach Art. 6 der Dublin II-Verordnung ist, soweit kein Familienangehöriger anwesend ist, der Mitgliedstaat zuständig, in dem der Minderjährige seinen Asylantrag gestellt hat. Diese Vorschrift dient – im Gegensatz zu anderen in der Dublin II-Verordnung festgelegten Zuständigkeitskriterien – nicht nur der organisatorischen Abwicklung des Dublin-Verfahrens zwischen den Mitgliedstaaten, sondern auch dem Minderjährigenschutz. Der Asylsuchende hat daher einen Anspruch auf Einhaltung dieser (auch) dem Grundrechtsschutz dienenden Zuständigkeitsbestimmung.
nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union in seinem Urteil vom 6. Juni 2013 (C-648/11, M. A. u.a.) der Staat zuständig, in dem sich der Minderjährige aufhält, nachdem er dort einen Asylantrag gestellt hat. Dies gilt nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts auch, wenn der Minderjährige nach Abschluss eines Asylverfahrens erneut in einem anderen Mitgliedstaat Asyl beantragt. In diesem Fall ist es dem Aufenthaltsmitgliedstaat allerdings nicht verwehrt, den Zweitantrag aus anderen Gründen als unzulässig zu behandeln, etwa weil es sich um einen identischen Antrag ohne neue Gründe handelt.
Ob diese Voraussetzungen hier vorliegen, konnte offen bleiben. Denn das Bundesamt hat den Asylantrag wegen anderweitiger internationaler Zuständigkeit nach § 27 a AsylG als unzulässig abgelehnt. Diese Entscheidung kann im Gerichtsverfahren wegen der ungünstigeren Rechtsfolgen nicht in eine die Durchführung eines (weiteren) Asylverfahrens ablehnende Zweitantragsentscheidung nach § 71 a AsylG umgedeutet werden. Denn eine Entscheidung nach § 27 a AsylG führt zur Überstellung des Asylsuchenden in einen anderen – zur Prüfung seines Asylantrags zuständigen – „sicheren“ Dublin-Staat. Mit einer negativen Entscheidung nach § 71 a AsylG endet hingegen das Asylverfahren, und der Betroffene kann – bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen – grundsätzlich in jeden aufnahmebereiten Staat einschließlich seines Herkunftsstaats abgeschoben werden.
Entscheidung des BVerwG vom 16.11.2015 in dem Verfahren 1 C 4.15.
Vorinstanzen:
OVG Saarlouis, 2 A 313/13 – Urteil vom 09. Dezember 2014 –
VG Saarlouis, 6 K 457/11 – Urteil vom 20. Juli 2012 –
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Quelle: Pressemitteilung des Bundesverwaltungsgerichts Nr. 93/2015 vom 16. November 2015.