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Streit um Nervengift in der Kabinenluft

von Sicherheit2019
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(prehoga) Streit um Nervengift in der Kabinenluft. Sozialgericht weist Klage eines Flugbegleiters gegen Unfallversicherung ab. Im vorliegenden Fall ließ sich nicht beweisen, dass die Nervenerkrankung eines Flugbegleiters auf dessen dauerhafte Belastung durch vergiftete Luft an Bord der Flugzeuge zurückzuführen ist. Seine Klage auf Anerkennung einer Berufskrankheit war deshalb abzuweisen. Nach Auffassung des Gerichts ist es jedoch naheliegend, auch zu prüfen, ob das vom Kläger geschilderte „fume event“ nicht als Arbeitsunfall zu bewerten ist. Dieser Punkt
war aber nicht Streitgegenstand.

Zum Hintergrund: Seit einigen Jahren häufen sich die Berichte von Piloten, Stewardessen und Flugbegleitern über Erkrankungen aufgrund vergifteter Kabinenluft. Als eine Ursache wird immer wieder das Nervengift TCP (Trikresylphosphate) genannt, das möglicherweise zusammen mit Öldämpfen von den Triebwerken durch die Belüftungsanlage an Bord der Maschinen gelangt. Besondere Vorkommnisse, bei denen in der Kabine plötzlich ein beißender, miefiger Geruch wahrgenommen wird, bezeichnet man dabei als „fume event“. In der Wissenschaft ist bisher umstritten, inwiefern Giftstoffe in der Kabinenluft für Erkrankungen ursächlich sind.

Bei Gesundheitsschäden im Zusammenhang mit der Berufsausübung kann ein Anspruch auf Verletztenrente gegen die Unfallversicherung bestehen, wenn eine „Berufskrankheit“ als Folge einer dauerhaften beruflichen Belastung (§ 9 SGB VII) oder ein Arbeitsunfall, also ein Schaden aufgrund eines konkreten, einmaligen Ereignisses (§ 8 SGB VII) festgestellt worden ist.

Zum Fall: Der 1974 geborene Kläger war seit 1999 als Flugbegleiter auf Kurz- und Mittelstrecken tätig. Im Oktober 2011 begab er sich in ärztliche und psychotherapeutische Behandlung. Er klagte unter anderem über Kribbeln auf der
Haut, Atemnot, Muskelzuckungen, Magenbeschwerden, Kopfschmerzen und Konzentrationsschwierigkeiten. Seinen Angaben nach war es am 3. Oktober 2011 zu einem fume event an Bord seines Flugzeuges gekommen. Die Ärzte stellten bei ihm eine Nervenleitstörung (Polyneuropathie) und eine psychische Erkrankung fest und stuften ihn als fluguntauglich und damit arbeitsunfähig ein.

Im April 2012 beantragte der Kläger bei der zuständigen Unfallversicherung, der Berufsgenossenschaft Verkehrswirtschaft Post-Logistik Telekommunikation, (Beklagte) die Anerkennung einer Berufskrankheit. Es bestehe Arbeitsunfähigkeit nach einer TCP-Vergiftung. Die Beklagte lehnte den Antrag ab. Es liege keine (von der
Berufskrankheitenverordnung) anerkannte Berufskrankheit vor. Auch die Einstufung der Erkrankung als sogenannte (mit anerkannten Krankheiten vergleichbare) „Wie-Berufskrankheit“ komme nicht in Betracht. Es mangele insoweit an gesicherten Erkenntnissen über Gefahrstoffe im Arbeitsbereich des Klägers.

Mit seiner im September 2013 erhobenen Klage machte der Kläger geltend, dass bei ihm zumindest eine „Wie-Berufskrankheit“ vorliege, aufgrund der ihm eine Verletztenrente zu gewähren sei. Nach weiteren medizinischen Ermittlungen und mündlicher Verhandlung hat die 68. Kammer des Sozialgerichts Berlin (in der Besetzung mit einer Berufsrichterin, einer ehrenamtlichen Richterin und einem ehrenamtlichen Richter) die Klage am 7. Juli 2016 abgewiesen. Es könnte nicht festgestellt werden, dass die Polyneuropathie des Klägers eine Berufskrankheit sei.
Zwar komme das vom Gericht eingeholte Gutachten zu der Einschätzung, dass die Voraussetzungen einer Berufskrankheit vorliegen könnten.

Der Kläger sei nämlich auf Flugzeugtypen eingesetzt worden, bei denen fume events mit Belastungen durch verschiedene Schadstoffe bekannt geworden seien, die für sich allein für eine Erkrankung nicht ausreichend seien, aber durch ihre Addition eine Polyneuropathie hervorrufen könnten. Gegen die Anerkennung als „Wie-Berufskrankheit“ spreche indes, dass auch der Gutachter letztendlich nicht habe erklären können, wie die verschieden Stoffe zusammenwirkten. Er habe selbst eingeräumt, dass es noch offene Fragen gäbe.
Abgesehen davon habe der Kläger dauerhafte Belastungen oder frühere Gesundheitsschädigungen auch nicht hinreichend dokumentiert. Er habe zwar lange als Flugbegleiter gearbeitet, letztlich aber nur ein einziges fume event geschildert.

Bei einer nur einmaligen Betroffenheit liege jedoch keine dauerhafte Belastung vor, was Voraussetzung für die Anerkennung einer Berufskrankheit sei. Naheliegend sei es, vor diesem Hintergrund zu prüfen, ob es sich bei dem fume event stattdessen um ein einmaliges Ereignis im Sinne eines Arbeitsunfalles gehandelt habe. Zu dieser Frage habe die Beklagte aber gesonderte Bescheide erlassen, die mit der Klage nicht angegriffen worden sind.

Anmerkung der Pressestelle: Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Es kann vom Kläger mit der Berufung zum Landessozialgericht in Potsdam angefochten werden.

Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 7. Juli 2016 in dem Verfahren S 68 U 637/13.

Sozialgericht Berlin
– Pressestelle –
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Quelle: Pressemitteilung des Sozialgerichts Berlin vom 22.07.2016.

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